Sonntag, 17. Januar 2016

Angst

Ab und zu sehe ich mir die Statistiken für diesen Blog an. Der meistgelesene Artikel ist unverändert der über das schreckliche Schicksal von Denise Thiem, die amerikanische Pilgerin mit chinesischen Wurzeln, die um die Osterzeit des vergangenen Jahres in der Gegend von Astorga entführt, beraubt und ermordet wurde.



Ich war zu dieser Zeit ebenfalls auf dem Camino unterwegs, allerdings auf den ersten Abschnitten zwischen Saint-Jean und Puente de la Reina, wusste nichts von dem Vorfall und pilgerte völlig unbeschwert, selbst wenn es auf einsamen Wegen durch den Wald ging und weit und breit keine anderen Pilger zu sehen waren.

Bei meiner zweiten Camino-Erfahrung im September vergangenen Jahres - kurz zuvor war der Leichnam von Denise im Garten einer einsamen Finca gefunden und ihr Mörder verhaftet worden - war es mit dieser Leichtigkeit vorbei. Ich merkte, dass ich auf menschenleeren Strecken schneller ging, auch an den verschlossenen und vergitterten Toren und Fenstern der Bauernhöfe, Stallungen, Lagerhäuser und Gehöfte, an welchen ich ab und zu auf dem Weg vorbei kam, lief ich so schnell es ging vorbei.


Ganz schlimm wurde es an zwei Tagen, als ich mich einmal aufgrund einer unklaren Beschilderung und ein andermal frühmorgens in der Finsternis verlief und vom Weg abkam. Da hatte ich richtig Angst, nicht nur davor, dass mich jemand in eine einsame Finca, irgendwo mitten in der Natur, wo keiner meie Hilferufe hören würde verschleppen würde, sondern auch vor den Autos, die mir von Zeit zu Zeit auf dem Weg entgegenkamen ...


Nun werde ich bald zu meiner dritten Teilstrecke auf dem spanischen Jakobsweg aufbrechen - das möchte ich mir auf keinen Fall nehmen lassen - und muss mir etwas einfallen lassen, damit das Pilgern so wie vor einem Jahr zu einem schönen Erlebnis und nicht zu einem angstdominierten Albtraum wird.

Die Vernunft sagt: Millionen von Pilgerinnen und Pilgern sind jährlich auf dem Jakobsweg unterwegs, das oben erwähnte Verbrechen stellt einen absoluten Einzelfall dar, ein anderer Pilger, der verstarb, hatte sich an einer gefährlichen Stelle des "Camino del Norte" ins Meer gewagt und war von der Strömung erfasst worden, bei einem weiteren, älteren Mann, der ebenfalls verschwand und seit Monaten gesucht wird, ist nicht auszuschließen, dass er einfach alle Brücken hinter sich abbrechen wollte.


Aber natürlich wissen wir alle, zum Beispiel von Flugangst, dass es gar nicht so einfach ist, Ängste durch rationale Gegenargumente zu besänftigen, ja, das ist praktisch sogar unmöglich...

Also was tun?

Als erstes habe ich mir gleich nach meiner Rückkehr eine Stirnlampe besorgt - in der Dunkelheit verlaufen werde ich mich beim nächsten Mal also sicher nicht. Zusätzlich hat meine Powerbank (ihr wisst schon, dieses kleine Gerät, mit dem man das Handy wieder aufladen kann, wenn der Akku unterwegs einmal leer wird) zusätzlich eine Taschenlampenfunktion.
Der Rucksack verfügt über eine eingebaute Trillerpfeife, die internationale Notrufnummer ist im Handy gespeichert und Trekkingstöcke mit spitzen Enden habe ich ebenfalls.


Natürlich ist mir bewusst, dass das nur Kleinigkeiten sind und dass ich - z.B. gegen mehrere Männer - trotzdem keine Chance hätte, aber ein wenig Sicherheit gibt es schon.

Weiters werde ich mit meinen Lieben zu Hause vereinbaren, dass ich mich täglich melde und - auch wenn ich allein unterwegs sein werde - sehen, dass ich andere Pilgergruppen zumindest nicht aus der Sichtweite verliere, wobei es ja auch nicht auszuschließen ist, dass ich nette Mitpilger finde, mit denen ich ein kleines oder auch ein längeres Stück des Weges gemeinsam gehe.


Und selbstverständlich werde ich achtsam sein, doch letztendlich hilft es nur, auf Gott und auf einen guten Ausgang der Reise zu vertrauen, die so viel Wunderbares zu bieten hat. Schon von daher wäre es fast eine Sünde, den Camino nicht anzutreten ...



Die Angst macht unfrei, der Glaube frei.
Die Angst lähmt, der Glaube gibt Kraft.
Die Angst macht mutlos, der Glaube ermutigt
Die Angst macht krank, der Glaube heilt.
Die Angst macht untauglich, der Glaube tauglich.
(Ralph Waldo Emerson)




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