Mittwoch, 13. Januar 2016

Wieviel Kilometer schafft man eigentlich so in einer Stunde ...?

Diese Frage wurde heute von einem potentiellen Jakobspilger in einer Facebook-Gruppe gestellt.

Kurz nach Roncesvalles - so schön eben und befestigt bleibt der Weg leider nicht

Ich kann an dieser Stelle nur für mich sprechen und meine eigenen Erfahrungen (ich war bisher 2 x auf dem Camino unterwegs, ein Mal im April und einmal im September/Oktober) wiedergeben.

Jeder, der im Internet den Begriff "Jakobsweg" eingibt, kommt früher oder später auf die 32 oder 33 Etappen, die auch in den einschlägigen Reiseführern verwendet und beschrieben werden. Auch ich halte sie für eine gute Richtlinie, die man befolgen kann oder auch nicht.

Bodenmarkierung in Estella

Wer sich gut trainiert auf den Weg macht, über das entsprechende Schuhwerk verfügt und wem das Tragen schwerer Lasten über Stock und Stein nichts ausmacht, ist mit diesen Etappen sicher gut beraten und wird wahrscheinlich auch keine Probleme damit haben, täglich 25 - 30 km "herunterzuspulen". In der Tat hört sich das auch nicht allzu anstrengend an, wenn man davon ausgeht, dass ein Fußgänger ca. 5 km in der Stunde zurücklegt. Bei einer 30 km langen Etappe wären das dann also 6 Stunden reine Marschzeit...

Iglesia de San Román de Cirauqui, Navarra

So schön, so gut, und wer zu der oben beschriebenen Personengruppe gehört, kann nun ruhig weiterklicken - ich gehöre nicht dazu. Vor allem, was das Wandern mit allen Siebensachen in einem auch mit 8 kg für mich recht schweren Rucksack betrifft, dessen Träger oft doch recht stark auf den Schultern einschneiden und der von Stunde zu Stunde schwerer zu werden scheint, obwohl man bereits alle mitgebrachten Vorräte aufgegessen und die Wasserflasche ausgetrunken hat und der dadurch ja eigentlich leichter werden sollte.

Ein schattiges Plätzchen (Zariquiegui)

Der langen Rede/Einleitung kurzer Sinn: Der Camino ist keine Autobahn und Menschen sind keine Maschinen, das mussten (siehe Kerkeling) viele auch schon mit schmerzhaften Blasen, Knieverletzungen, Kreislaufbeschwerden und anderen unangenehmen Nebenerscheinungen des Pilgerns bezahlen.

Estella - Los Arcos

Manchmal geht es steil bergauf, dann wieder auf einer rutschigen Geröllhalde bergab, bei Regen durch den Matsch oder die Sonne brennt vom Himmel und der Weg will und will kein Ende nehmen.
Dazu kommt die jeweilige Tagesverfassung: Nicht erst seit Hape Kerkeling wissen wir, dass es Höhen und Tiefen geben kann und tatsächlich gibt und dass auch der trainierteste Sportler nach einer mehrtägigen oder -wöchentlichen Dauerbelastung einen Durchhänger haben kann.

Anstieg zum Alto del Perdón (735 m)

Viele planen daher einige Tage als "Puffer" ein. Das halte ich für gut. Ich selbst plane überhaupt nur in groben Zügen, setze mir nur kleine Ziele, die ich mit Sicherheit schaffen kann. Sollte es doch nicht der Fall sein (was allerdings noch nie eingetroffen ist), wäre es für mich auch nicht schlimm; komme ich weiter, als ich ursprünglich vor hatte, freue ich mich.
 
Frühling in Navarra: Abstieg nach Pamplona

Es geht mir aber nicht nur um Fitness und Kondition. Ich möchte mir unterwegs die Freiheit nehmen, dort einzukehren, wo es mir gefällt, die Kirche anzuschauen, die mich interessiert (und die, wenn ich Glück habe, auch gerade geöffnet ist), auf einer Bank in der Sonne (oder auch im Schatten) zu sitzen und mich mit Leuten zu unterhalten, wenn mir danach ist, stehen zu bleiben und Fotos zu machen oder einfach einmal unter einem Baum auszuruhen.

Lichtblick nach Kilometern bei brütender Hitze: Imbissstand "La Flecha amarilla"

Das bedeutet für mich, den Weg wirklich mit allen Sinnen zu gehen (um mit Goethe zu sprechen: "Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.", und mit "zu Fuß" meine ich zu gehen anstatt zu laufen und dabei die Augen offen zu halten und die wunderbare Landschaft und Architektur zu genießen).

Gewitterwolken (Puente de la Reina)

"Die hat ja leicht reden..." mag jetzt so manch einer (sicherlich zu Recht) denken: Ja, eilig habe ich es nun wirklich nicht, die Compostela bekomme ich, egal ob ich nun 4, 8, 12 Wochen oder auch einige Jahre dafür brauche und so kann ich den Weg völlig entspannt in kleinen oder größeren Stücken gehen.

Doch das muss jeder oder jede so halten, wie er oder sie mag. 3 - 5 km pro Stunde halte ich auf jeden Fall für realistisch, 20 - 25 km am Tag für durchaus zu bewältigen, selbst ohne vorausgehendes Training und in höherem Alter. Wer jedoch öfters zwischendurch eine Pause einlegt, sollte bedenken, dass die meisten Pilgerherbergen gegen 13:30 Uhr aufsperren und dann möglicherweise bereits eine längere Schlange von Pilgerinnen und Pilgern auf Einlass wartet und die Kapazitäten rasch erreicht sind.

Warten auf Einlass (Albergue de Navarrete)

Nicht nur aus diesem Grund kann es durchaus sinnvoll sein, zwecks Nächtigung kleinere und weniger bekannte d.h. auch weniger überlaufene Ortschaften auszuwählen. Ich habe es jedenfalls noch nie bereut und auf diese Art wunderschöne Plätze kennen gelernt, die andere möglicherweise auf der Route links liegen lassen oder höchstens für einen schnellen Imbiss oder zum Auffüllen der Wasserflasche in Betracht ziehen.


Ultreja/Immer weiter! (vor Ventosa)
 
So hat jeder seine Prioritäten und jeder geht seinen eigenen Camino und das ist gut so ... vielleicht ist ja gerade das das Faszinierende an der Sache...


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